Letter 3 // Bodensee
Ein Brief an den blauen Bodensee.
Lieber See,
eine Künstlerin fragte kürzlich neugierig nach, woher meine große Liebe für die Farbe Blau stammt. Von dir natürlich.
Als ich aufgewachsen bin, war mir nicht bewusst, was ich für ein Glück habe: Immer warst du in der Nähe. Im Sommer zum Planschen, für meine ersten Schwimmversuche, für stundenlanges Meerjungfrau-Spielen und im Winter zum Schlittschuhlaufen. In der kalten Jahreszeit hattest du eine besondere Anziehung auf mich, ausgerechnet dann bin ich besonders wagemutig an deinem Ufer entlang gehüpft und mehr als einmal in voller Wintermontur im bitterkalten Wasser gelandet.
"Leben wo andere Urlaub machen" oder "Wohnen an einem Sehnsuchtsort". (Ich sollte schreiben: Seensuchtsort). Diese Sätze habe ich unzählige Male zu hören bekommen. Ich dagegen hatte es immer eilig, von dir wegzukommen. Häufig habe ich mich allerdings an einem Ort in Wassernähe wiedergefunden. Die blaue Stunde am See – zauberhaft. Laue Sommernächte mit dem Klang von Wellen im Ohr und dem Spiegeln des Mondes auf der Wasseroberfläche – magisch.
Als ich nach meiner ersten langen Abwesenheit nach Hause und zu dir zurückkehrte, breitete sich der vertraute Geräuschteppich von Heimat vor mir aus: das Tuten der Schiffe im Hafen, das bis in mein Zuhause hallt. Das lautstarke Geschrei von Möwen, das muntere Schnattern von Enten und je nach Wind- und Wetterlage das wilde bis sanfte Schlagen von Wellen ans Ufer.
Milchiges Blaugrau, kühles Eisblau, tiefes Indigoblau, beruhigendes Azurblau, geheimnisvolles Emeraldblau – ich habe dich in allen Schattierungen von Blau erlebt. Dein Farbspiel ist eine Komposition aus Licht und Reflexion, Algen und Mineralien, Strömung und Temperatur, Tageszeit und Jahreszeit sowie Wind und Wetter. Immer anders, immer wundervoll. Mein Favorit: sonnendurchtränktes Aquamarinblau mit tanzendem Glitzern auf der Wasseroberfläche.
An deinem Ufer habe ich als Kind Steine so weit ich nur konnte ins Wasser geworfen. Als die kindliche Unbeschwertheit wich, habe ich Verzweiflung und Sorgen an dein Ufer getragen und mir gewünscht, ich könnte sie wie Steine in deinen Tiefen versenken. Du hast mich in allen erdenklichen Gefühlsschattierungen erlebt und mir in jeder Façon Freude und Halt gegeben. Deine Blautöne und deine Klänge haben immer auf mich gewartet, wenn ich sie gebraucht habe. Selbst wenn der Wind bläst und ein Sturm über dich hinweg tobt, deine tiefe Ruhe lässt du dir nicht nehmen.
Mit Vorliebe wähle ich den Weg mit dem schönsten Ausblick und die malerische Route an deinen Ufern entlang. Zum Glück führen viele meiner Pfade immer wieder an dir vorbei.
In Liebe, F.